Handout zum Referat: Max Weber und Heidelberg
Auch wenn dieser Tage ihm zu Ehren extra eine Briefmarke der Bundespost erschienen ist, gehe ich davon aus, daß nicht alle unter uns wissen, wer Max Weber eigentlich war. Von daher möchte ich im Vorgriff auf mein Referat in Heidelberg – das sich ja lediglich mit einigen biographischen Aspekten beschäftigt, die in Verbindung zu Heidelberg stehen – hier mit ein paar wenigen Schlagworten zu verdeutlichen versuchen, warum die Beschäftigung mit seinem Werk und seiner Person nicht nur für Soziologen auch heutzutage noch hochinteressant und überaus lehrreich ist.1 Auch die Nicht-Soziologen unter uns haben einige der Schlagworte, die mit dem Namen von Max Weber verbunden sind, gewiß schon hier und da gehört: „Entzauberung der Welt“, „Rationalisierung“, „charismatische“ oder auch „bürokratische Herrschaft“, eventuell sogar: „Zweiter Methodenstreit in der Nationalökonomie“ oder auch der sog. „Idealtypus“ … Und es gibt eine sog. „Max-Weber-These“, die die Entstehung des modernen Kapitalismus mit einer bestimmten religiösen Geistesverfassung verknüpft.2
Der „bürgerliche Marx“, wie man Max Weber (1864 – 1920) auch schon mal genannt hat, lebte praktisch zeitgleich mit dem deutschen Kaiserreich und war ein Kind3 dieser Zeit: ein glänzender und überaus vielseitiger Wissenschaftler, ein glühender Nationalist, vor allem aber ein typischer Vertreter des erstarkten Bildungs- und Wirtschaftsbürgertums an einer glücklichen Schnittstelle zwischen Politik, Wirtschaft und Wissenschaften; in seinem begüterten4 Berliner Elternhaus – der Vater war ein nationalliberaler Berufspolitiker – gingen die Großen seiner Zeit ein und aus; Karl Jaspers hat ihn als „den bedeutendsten Deutschen des 20. Jahrhunderts“ bezeichnet. „Ich bin ein Mitglied der bürgerlichen Klassen, fühle mich als solches und bin erzogen in ihren Anschauungen und Idealen“, hat er selbst einmal formuliert.
Der Wissenschaftler
Der beruflichen Stellung nach war Weber ein Wissenschaftler.5 Gelegentlich schrieb er, daß er kaum einen Beruf kenne, bei dem der Zufall so viel mehr als die Tüchtigkeit über die Zukunft entscheide als den des Wissenschaftlers; und er hat es als einen „Hasard“ – also ein Glücksspiel – bezeichnet, daß er in jungen Jahren bereits6 Ordinarius in Freiburg wurde. Das ist aber nur die halbe Wahrheit: denn er war eben zugleich auch ungemein fleißig – bis zur völligen Erschöpfung! -, las pro Tag 80 Seiten und war in der Lage, sich in kürzester Zeit in fremde Fachgebiete einzuarbeiten – etwa zur Thematik der Börse – und darüber dann auch noch grundlegend zu informieren! Die Max Weber-Gesamtausgabe,7 die derzeit im Auftrag der Kommission für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der Bayerischen Akademie der Wissenschaften im hochrenommierten Tübinger Verlag Mohr Siebeck erscheint, ist in 3 Abteilungen8 auf insgesamt 47 Bände angelegt,9 von denen momentan bereits 40 erschienen sind.10
Aber was für ein Wissenschaftler war Max Weber eigentlich? Er studierte zunächst Jura,11 daneben aber auch Geschichte, Nationalökonomie und Philosophie. Es handelte sich bei diesem breit angelegten Studiengang um ein für damalige Verhältnisse typisches, aus dem Verständnis der Kameralistik entwickeltes Studium der „Staatswissenschaften“,12 das bei Max Weber darüber hinaus auch die Theologie einschloß. Nach absolvierter Referendarsprüfung (Mai 1886) sowie der obligatorischen Referendars- und Assesorenzeit wurde Weber in Berlin als Rechtsanwalt zugelassen (und auch gelegentlich tätig).13 Außerdem bewarb er sich – vergeblich – in Bremen um die Stelle eines Syndikus.
Allerdings wurde Max Weber – nach erfolgreich absolvierter Dissertation und Habilitation –erstmalig als Ordinarius in Freiburg 1894 berufen auf einen nationalökonomischen Lehrstuhl;14 maßgeblich hierfür war eine Enquete zur Lage der ostelbischen Landarbeiter für den Verein für Socialpolitik, die er maßgeblich mitverfaßt hatte (1890/91). Er wurde also nach heutigem Verständnis Volkswirtschaftler und sorgte sogleich mit seiner Antrittsrede (1895) für Furore,15 weil er die Wirtschaftswissenschaften als politische Wissenschaften definierte und vor einer Überfremdung Ostelbiens durch Polen warnte: deutsche Landarbeiter waren seiner Auffassung nach degeneriert und verwöhnt … Zwei Jahre später erhält er einen Ruf nach Heidelberg, wo er krankheitsbedingt allerdings nur kurze Zeit lehrt.16 Bis zur Wiederaufnahme der Lehrtätigkeit gegen Ende des Krieges (zuerst Wien, dann München) wirkt Max Weber dann in Heidelberg als Privatgelehrter, der sehr schnell primär durch Zeitschriftenaufsätze17 berühmt wird. Daneben reist er viel, nach Italien, aber auch bis in die USA (1904). Auch ein wichtiger Methodenstreit (als „Zweiter Methodenstreit“ oder auch „Werturteilsstreit“ in der Nationalökonomie bekannt) ist mit seinem Namen verknüpft. Es geht hier – verkürzt gesagt – um die Unterscheidung von Sein und Sollen: wir alle neigen erstaunlicherweise dazu, unsere eigenen Wunschvorstellungen mit einer Feststellung der Tatsachen zu verwechseln – aber das ist „ein weites Feld“ …
Heutzutage wird sein Name insbesondere im Zusammenhang mit der sich – sehr langsam – etablierenden Soziologie in Verbindung gebracht. So ist er streitbares18 Mitglied im Verein für Socialpolitik und gilt seinen politischen Gegnern als „Kathedersozialist“. Auch gehört Max Weber zu den Gründungsmitgliedern der – noch heute existierenden – Deutschen Gesellschaft für Soziologie (DGS), aus der er allerdings 2 Jahre später im Streit ausscheidet. Federführend unternimmt er für den Verleger Paul Siebeck die Herausgabe des „Grundriß der Sozialökonomik“, ein Standardwerk, in dem Max Weber im Laufe der Zeit immer mehr Bände selbst übernimmt.19 Und hier taucht dann auch der berühmte Titel „Wirtschaft und Gesellschaft“ auf, der bis auf den heutigen Tag Quelle unendlicher Kontroversen unter den Spezialisten ist, vielfach verknüpft mit der Frage, was Max Weber denn eigentlich gewesen sei: Soziologe, Nationalökonom, Historiker etc. …In diesem „Werk“ wird das Konzept einer „okzidentalen Rationalisierung“ als tragendes Strukturmerkmal der westlichen, industriell-marktwirtschaftlich geprägten Moderne systematisch entwickelt, die er in vielfältigen Lebensspären – z.B.: Wirtschaft, Religion, Musik usw. – aufwies – dabei aber: das muß man hier sofort hinzufügen – aufs Entschiedenste bedauerte!
Vor 50 Jahren, nämlich auf dem 15. Deutschen Soziologentag, von dem Stefan noch ausführlicher berichten wird, konnte in Heidelberg der damalige Präsident der Deutschen Gesellschaft für Soziologie, Theodor W. Adorno, noch konstatieren, daß es eine Max Weber-schule nicht gebe.20 Heute wird man das für Deutschland nicht mehr sagen können; dafür spricht allein schon die Tatsache, daß – nach umfangreichen Vorarbeiten, auch in Heidelberg – seit 1984 die umfassend angelegte Max Weber-Gesamtausgabe existiert. Dafür spricht auch der Umstand, daß es in akademischen Qualifizierungsarbeiten Mode geworden ist, sich auf Max Weber zu berufen, vor allem aber die Tatsache, daß allein zu Webers 150. Geburtstag zwei umfangreiche deutschsprachige Biographien erschienen sind – die eine davon (Dirk Käsler, em. Soziologie-Professor aus Marburg) umfaßt nicht weniger als 1.000 Seiten.
Der Politiker
Neben seiner wissenschaftlichen Arbeit war Weber zeit seines Lebens auch politisch aktiv:21 eines seiner bekanntesten Werke trägt den Titel „Politik als Beruf“ – ursprünglich ein Vortrag für die Freideutsche Jugend gegen Ende des Ersten Weltkrieges. Aber bereits vor der Jahrhundertwende (1897) lieferte sich der politisch interessierte, dem nationalliberalen Denken nahe Max Weber, der nach dem Krieg dann auch zu den Begründern der Deutschen Demokratischen Partei (DDP) gehörte, mit dem Neukircher Gruben-Magnaten Carl Ferdinand v. Stumm-Halberg (1836 – 1901) eine heftige Fehde. Stumm hatte 1895 in einer Rede vor dem Reichstag die Kathedersozialisten scharf angegriffen. Daraus entwickelte sich eine längere Kontroverse, in die auch Max Weber eingriff, der Stumms Verhalten als „eine widerwärtige Erscheinung des industriellen Briefadels“22 bezeichnete. Auch hielt er 1897 in Sarbrücken vor einem liberalen Forum – gewissermaßen direkt in der Höhle des Löwen – einen Vortrag. Daraufhin wurde ihm eine Reichstagskandidatur angeboten, die Weber allerdings ablehnte.23
Bis zum Ende des Kaiserreichs beteiligte sich Weber an allen wichtigen Debatten, zumeist durch Zeitungsartikel; und er legte sich dabei immer wieder mit vielen wichtigen Leuten an. Ob es um den Freihandel ging, die Sozialistengesetze („Bebel hat ein Spatzengehirn!“), die Kolonialpolitik („Hottentottenwahlen“), die Flottenrüstung oder ob es bei einer Reichstagswahl um die finanzielle Unterstützung der Christlich-Sozialen um Friedrich Naumann ging – Max Weber war immer informiert und engagiert. Sein spezieller Feind war der Kaiser Wilhelm II.: schon früh nach dessen Thronbesteigung 1888 schrieb Weber: „Man hat den Eindruck, als säße man in einem Eisenbahnzuge von großer Fahrgeschwindigkeit, wäre aber im Zweifel, ob auch die nächste Weiche richtig gestellt werden würde.“ Mehrere Wutanfälle Webers über die Politik des Kaisers sind überliefert, herablassend nannte er ihn üblicherweise „Siegmund Mayer“ (= S.M.)24 und wollte ihn kurz vor Kriegsende sogar solange beleidigen, bis er vor Gericht gestellt würde, damit die genauen Umstände der Niederlage amtlich festgestellt werden könnten …
Noch 1918, kurz vor der Revolution gegen Ende des Kaiserreichs, wurde Weber als Reichskanzler ins Gespräch gebracht. Seine große Stunde aber schlug nach der Niederlage, als er Mitglied der Abrüstungskommission für die Friedensverhandlungen wurde.
Der Privatmann
Neben dem Wissenschaftler und dem Politiker ist Max Weber auch als Person hochinteressant.25 Ich zitiere hier mal den Hamburger Soziologen Stefan Breuer in einer Buchbesprechung von Jürgen Kaubes Weber-Biographie:
„… «Kein Buch, keine Kinder, kein Krieg, kein Vermögen, kein Einfluss» – auf diese lapidare Formel bringt Kaube die äussere Seite dieser Lebensbilanz. Mehr noch: Wenn Bürgerlichkeit, wie es Leopold Ziegler einmal ausgedrückt hat, in dem Versuch besteht, «das Leben als solches vor den Einwirkungen einer Dämonie zu retten», die das Individuum im Extrem «mit Schändung, Wahnwitz und Tollheit» bedroht, dann war Max Weber auch in dieser Hinsicht ein Gescheiterter, zumindest jemand, der sich wie sein Antipode Stefan George an den Rändern der bürgerlichen Welt bewegte. Damit ist nicht nur die manifeste Depression gemeint, die Weber um die Jahrhundertwende durchlitt, sondern auch deren latente Erscheinungsform, die sich in masslosem Konsum von Nahrungsmitteln, Alkohol und Büchern äusserte, später auch in Reisewut sowie einer hochgradigen Reizbarkeit gegenüber seinen Mitmenschen – Kaube nennt Weber einen «Wutbürger» –, bei gleichzeitiger Liebesunfähigkeit in Intimbeziehungen, die bis in sein fünftes Lebensjahrzehnt anhielt und ihn nur zu oft in Verzweiflung über sich selbst ausbrechen liess …“
Insbesondere war Max Weber wohl – unter anderem – hochgradig tablettenabhängig: so schildert seine Frau Marianne Weber einen gemeinsam mit Wanderungen verbrachten schönen Sonntagnachmittag, der jäh kippte, als Max Weber feststellte, daß sein Vorrat an Schlaftabletten aufgebraucht war und es unmöglich wurde, Ersatz zu beschaffen …
Überhaupt die Frauen: möglich wurden Leben und Werk in dieser Form vor allem durch Frauen, die Max Weber begleiteten, liebten, förderten und forderten: seine Mutter Helene, die zeitlebens einen bestimmenden Einfluß auf ihn behielt, seine Frau Marianne, die das Geld in die Familie brachte und mit der er eine „josefinische“ Ehe führte, daneben aber auch seine Freundinnen: Mina Tobler, eine Pianistin, die ihn zu musiktheoretischen Höchstleistungen anspornte und vor allem seine frühe Schülerin Else von Richthofen – die er dem eigenen Bruder ausgespannt hatte – die ihm offenbar sexuelle Highlights verschaffte.
Der „Mythos von Heidelberg“ – ein Gescheiterter? Wie paßt das zusammen? Die Biographie von Jürgen Kaube bietet hierfür eine bestechende These: aus dieser Randposition der bürgerlichen Welt ergibt sich eine besondere Chance zur Analyse, weil sie zwar einerseits Teil dieser Welt war, zugleich aber eine notwendige Distanz bot. So fällt beispielsweise auf, daß Max Weber das Kriegsende – das für den zwischenzeitlich auch in Uniform durch Heidelberg stapfenden Lazarettverwalter26 selbstverständlich auch eine persönliche Niederlage war! – bemerkenswert cool kommentieren kann und nüchtern die nun notwendigen Schritte öffentlich wie privat abarbeitet. Diese Chance kann Max Weber allerdings nur deshalb nutzen, weil er einerseits durch seine Familie dafür prädisponiert ist, zum anderen aber auch deshalb, weil er mit einer geradezu beängstigenden Offenheit sich selbst – und anderen! – Rechenschaft ablegte. Und hätte nicht sein früher Nachlaßverwalter Johannes Winckelmann Webers Tagebücher seinerzeit in einer Kurzschlußhandlung vernichtet, wüßten wir heute sehr viel präziser über die Abgründe bürgerlicher Existenz am Ende der bürgerlichen Epoche Bescheid. Allerdings hat Joachim Radkaus Weber-Biographie aus dem Jahr 2005 gerade diesen Aspekt besonders akzentuiert.
Max Weber taugt nicht zur Heldenverehrung! Man sollte sich davor hüten, Max Webers Schriften kritiklos nachzubeten – dazu wird Stefan wohl noch alles Nötige sagen: denn gerade auf Seiten der Kritischen Theorie hat man Weber immer schon kritisch gesehen, sei es hinsichtlich der Methodologie, sei es hinsichtlich der Funktion von Wissenschaften, sei es im Hinblick auf Webers politische Einstellungen: hier gibt es wirklich erschreckende Sätze von ihm! Er war ein Kind seiner Zeit und er war eben auch ein Vertreter der bürgerlichen Klassen. Er hat einmal über den Sinn der Wissenschaften gesagt, sie sei dazu da, sich selbst zu überholen. Manchem war das zu wenig – mir scheint es sehr viel zu sein: selbst über den Abstand von 100 Jahren hinweg Anreize und Fragestellungen zu sinnvoller Forschung zu generieren – und vielleicht sogar zu einem sinnvollen Leben!
Mir persönlich ist bleibend Max Weber dort am wichtigsten, wo er sich als Visionär betätigte, m.a.W.: sich als ein erstaunlich weitsichtiger und dennoch nüchterner Zeitgenosse entpuppte: ob es sich hierbei um wissenschaftliche Phänomene handelt wie etwa die „Kulturindustrie“ oder das „Pattern“-Unwesen in der Musikproduktion – hierzu mündlich mehr! – oder aber die politische Forderung nach einem rechtzeitigen Rücktritt des Kaisers, um die (konstitionelle) Monarchie erhalten zu können oder aber auch gesellschaftliche Phänomene wie die Koppelung des modernen industriell-marktwirtschaftlichen Kapitalismus an die Energiefrage, die grenzenlose Bürokratisierung bis hin zu Phänomenen wie „Big Data“ oder auch ein dieser Entwicklung angepaßtes Menschenbild, das durch die einprägsame Formulierung vom «Fachmenschen ohne Geist, Genussmenschen ohne Herz»27 gekennzeichnet ist … Zugegeben: das sind oft genug Alpträume und keine optimistischen Zukunftsvisionen. Aber dafür ist Weber auch frei von jeglicher Fortschrittsideologie und versucht nicht, mir die rosarote Brille der selbsternannten Weltverbesserer und Gutmenschen aufzusetzen – mal ganz abgesehen davon, daß es sich bei Weber um einen unglaublich kundigen Wissenschaftler handelte, der sich in den einzelnen „Lebenssphären“ von der Betriebspsychologie bis hin zur Hochkultur exquisit auskannte.- Aber auch seine methodologischen Grundsätze, darunter insbesondere das Postulat von der Enthaltung von Werturteilen im Wissenschaftsbetrieb, scheinen mir als kritisches Korrektiv in Zeiten einer sog. Gender-Forschung28 oder der Neuro-Wissenschaften,29 ja selbst im Hinblick – bzw.: Rückblick! – auf die Kritische Theorie unaufgebbar zu sein.30
Literatur (in Auswahl):
- Norbert Fügen, Max Weber. Mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten.
Reinbek b. Hamburg 1985. - Marianne Weber, Max Weber. Ein Lebensbild.
Heidelberg 1950.
By Joerg-U. Minx. Im Mai 2014
1 Es versteht sich am Rande, daß diese Skizze in keiner Weise umfassend ist: die Max Weber-Literatur ist unübersehbar! Allein zum Jubiläumsjahr 2014 sind drei voluminöse deutschsprachige Biographien erschienen, von denen die eine nicht weniger als 1.000 Seiten umfaßt! Zwei davon kenne ich bisher lediglich von Rezensionen her. Vgl.: Dirk Käsler, Max Weber – Preuße, Denker, Muttersohn. Eine Biographie. München 2014 (38,- €). Käsler war Soziologe in Marburg, er ist ein Weber-Spezialist! Jürgen Kaube, von dem das andere Werk stammt (es wurde für den Preis des Leipziger Buchhandels 2014 nominiert), leitet bei der F.A.Z. das Ressort „Geisteswissenschaften“. Vgl. ders., Max Weber: Ein Leben zwischen den Epochen. Berlin 2014 (26,95 €). Stefan Breuer, Hamburger Soziologe und selbst profilierter Weber-Kenner, beurteilte dieses Buch in der Zürcher Neuen Zeitung (Ausg. v. 29.01.2014) folgendermaßen: „Es ist selten, dass man ein Buch mit dem Eindruck aus der Hand legt: So muss es sein. Hier ist es der Fall. Hat man bei der Lektüre von Marianne Webers 1926 erschienenem «Lebensbild» ihres Mannes stets einen Übermenschen vor Augen, bei der von Joachim Radkaus Biografie (2005) bisweilen eher das Gegenteil, so ist es Jürgen Kaube gelungen, Max Weber wieder in die Mittellage zu bringen und dessen wissenschaftlichem Werk die gebührende Aufmerksamkeit zu verschaffen. Diese Biografie muss unter die Glanzstücke des Genres gerechnet werden.“ – Und dann erschien Anfang Mai 2014 bei Metzler, Stuttgart auch noch ein Max Weber-Handbuch: Hans-Peter Müller/Steffen Sigmund (Hrsg.), Max Weber-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung. Stuttgart 2014 (425 S., 60,- EUR) …
2 Diese – umstrittene – These besagt plakativ formuliert, daß der moderne, industriell-marktwirtschaftliche Kapitalismus maßgeblich dadurch entstanden sei, daß insbesondere in England und den Niederlanden strenggläubige Calvinisten, die sog. „Puritaner“, sich wirtschaftlich betätigten (… was für einen frommen Menschen nicht selbstverständlich war – und ist!!! Vgl. hierzu heutzutage etwa die orthodoxen Juden), ihren Unternehmergewinn aber nicht konsumierten, sondern reinvestierten. Und zwar aus religiösen Gründen: die Puritaner lebten spartanisch einfach (vgl. John D. Rockefeller, den Gründer von Standard Oil!), Reichtum war ihnen verpönt, und ihre Gedanken kreisten um ihr Seelenheil, weil sie daran glaubten, daß Gott Menschen nicht nur erretten, sondern auch verwerfen könne (das ist die berühmt-berüchtigte Prädestinationslehre). In irdischem Wohlergehen sahen sie eine Bestätigung der eigenen Erwählung zum ewigen Heil (auf Hochdeutsch: sie glaubten, in ihrem Reichtum ein Zeichen zu sehen, daß Gott „es gut mit ihnen meint“. In der Theologie wird dieser Gedankengang als „Syllogismus practicus“ bezeichnet).
3 A propos „Kind“: an die Mutter schreibt der Zwölfjährige gelegentlich: „… ich habe mir Onkel Julian Schmidts Bücher angesehen und einen Blick in Herders Cid geworfen, jetzt bin ich dabei, den Principe des Machiavelli zu lesen … Später will ich mir auch den Anti-Machiavelli borgen …“
4 Die Mutter, Helene Fallenstein, war von ihrer Mutter Emilie Souchay her, die aus einer Hugenottenfamilie stammte, begütert (Fügen 1985, S. 9ff.); der Vater entstammte einer Bielefelder Leinwandhändlerfamilie, die unter der beginnenden Industrialisierung niederging; vgl. Fügen 1985, S. 13.
5 In einem berühmten Vortrag hat Weber diese Tätigkeit zum Gegenstand einer eigenständigen Reflexion gemacht: „Wissenschaft als Beruf“ (1917).- Nach eigener Aussage verstand sich Weber eher als Privatgelehrter denn als akademischer Lehrer: insbesondere die Vorlesungen mit dem – nach Webers Verständnis! – Zwang zur präzisen Diktion strengten ihn bis an die Grenzen der Leistungsfähigkeit an.
6 … im Alter von 30 Jahren (1894); bereits zwei Jahre später, nämlich 1896, folgte er einem Ruf auf den renommierten Heidelberger Lehrstuhl für Nationalökonomie von Karl Knies.- Zuvor wurde Max Weber bereits 1893 apl. Professor für Handelsrecht in Berlin!
7 Max Weber- Gesamtausgabe (MWG), herausg. im Mohr-Siebeck Verlag in Tübingen (ab 1984) von einem Herausgeberkreis zu dem Horst Baier, Gangolf Hübinger, M. Rainer Lepsius, Wolfgang J. Mommsen (1930 – 2004), Wolfgang Schluchter und Johannes Winckelmann (1900 – 1985) gehören.
8 Abteilung I: Schriften und Reden (25 Bde.), Abteilung II: Briefe (11 Bde.), Abteilung III: Vorlesungen und Vorlesungsnachschriften (7 Bde.).
9 … das darf man allerdings nicht ganz so eng sehen: manche Bände werden auch schon mal unterteilt, so daß man gespannt sein darf, wieviele Bände am Schluß dann tatsächlich bei diesem Mammutunternehmen herauskommen werden …
10 … der letzte war übrigens die Soziologie, Bd. I/23 – zum stolzen Preis von 334,- EUR.
11 „Er wählt, wie der Vater, die Jurisprudenz als Hauptstudienfach und Berufsschulung, dazu Geschichte, Nationalökonomie, Philosophie und beginnt bald im Bereich der Kulturwissenschaften alles zu treiben, was nur irgend bedeutende Lehrer vermitteln.“ (Marianne Weber, Lebensbild, S. 75).
12 Den aus der Kameralistik entwickelten Begriff der „Staatswissenschaften“ erläutert die 6. Auflage von Meyers Großes Konversations-Lexikon von 1905 ff. – eine Reverenzausgabe für die Vorkriegszeit – folgendermaßen: „Staatswissenschaften, im allgemeinen Bezeichnung für diejenigen Wissenschaften, deren Gegenstand der Staat ist. Sie sind [1.] teils erzählende und beschreibende (historische), [2.] teils erörternde (dogmatische), [3.] teils philosophische und [4.] teils politische. [ad 1.] Zu der erstern Kategorie gehören die Statistik oder Staatenkunde, die dermalige Zustände und Einrichtungen schildert, und die Staatengeschichte. [ad 2.] Die staatswissenschaftliche Dogmatik dagegen behandelt systematisch Zweck, Wesen und Eigenschaften des Staates und seine rechtlichen Beziehungen, und zwar sowohl diejenigen unter den Staaten selbst (Völkerrecht) als diejenigen zwischen der Staatsgewalt und den Staatsangehörigen sowie zwischen den letztern untereinander (Staatsrecht). Sie handelt ferner von den Mitteln zur Erreichung des Staatszweckes (Verwaltungsrecht, Polizei- und Finanzwissenschaft). [ad 3.] Die dogmatische Staatswissenschaft hat einen gegebenen Staat und dessen positive Satzungen zum Gegenstand, während die Staatsphilosophie nicht das, was ist, sondern das, was nach der Staatsidee sein soll, ins Auge faßt, und so entsteht namentlich der Gegensatz zwischen positivem und allgemeinem philosophischen Staats- und Völkerrecht. [ad 4.] Die politische Behandlungsweise endlich betrachtet den Staat, seine Mittel und seine Zwecke vom Standpunkte der Zweckmäßigkeit aus. Endlich zählt man zu den S. oder wenigstens zu ihren Hilfswissenschaften auch [5.] die Volkswirtschaftslehre in ihrem theoretischen und praktischen Teile sowie [6.] die allgemeine Statistik (s. Kameralwissenschaft).- Vgl. »Handwörterbuch der S.« von Conrad, Elster, Lexis, Löning (2. Aufl., Jena 1898-1901, 7 Bde.); »Österreichisches Staatswörterbuch« von Mischler und Ulbrich (Wien 1894-1897, 2 Bde.; 2. Aufl. 1904 ff.).“
13 Allerdings beschäftigen sich sowohl Webers Dissertation als auch seine Habilitation mit rechtshistorischen Fragen; die sog. Rechtsdogmatik – also die Exegese juristischer Quellen – war nicht sein Fachgebiet. In späteren Jahren arbeitete er über Rechtspolitik, versuchte also unter dem Druck der revolutionären Ereignisse politischen Einfluß zu nehmen auf die Gesetzgebung („Zur Neuordnung Deutschlands“, 1919).
14 Das entsprach auch seinen Neigungen: „ … der Wechsel der Disziplin entspricht seinem Wunsch; die Volkswirtschaftslehre ist als Wissenschaft noch elastisch und jung im Verhältnis zur Jurisprudenz, außerdem liegt sie an der Grenze der verschiedensten gelehrten Provinzen: von ihr führen direkte Wege in die Kultur- und Ideengeschichte wie in die philosophischen Probleme, und schließlich ist sie befruchtender für politische und sozialpolitische Orientierung als die mehr formale Problematik des juristischen Denkens.“ (Marianne Weber, Lebensbild S. 212).
15 Weber selbst hat bekundet, daß sie „Entsetzen über die Brutalität meiner Ansichten“ hervorrief! (Marianne Weber, Lebensbild, S. 249). Und weiter schreibt er: „… fast am zufriedensten waren die Katholiken, weil ich der ‚ethischen Kultur ‘ einen festen Tritt versetzte“.
16 Ab 1898 leidet Max Weber an schweren Depressionen, die ihm die Ausübung seines Berufs verbieten.
17 Viele Schriften von Max Weber sind unvollendet – und lassen so viel Raum für Interpretationen. Eigene Bücher gibt es lediglich zwei von ihm: Dissertation und Habilitation! Sein Metier war der Aufsatz, gerne auch schon mal über 100 Seiten ohne Untergliederung …
18 Gegner bezeichnen ihn – und seinen jüngeren Bruder Alfred – als „Streithammel“!
19 Vgl. MWG I/24.
20 Vgl. S. 100 in dem Verhandlungsbericht.
21 Weber schreibt einmal: „Und dann das Politische … es ist meine alte heimlich Liebe.“ Zit. bei E. Baumgarten, Max Weber. Werk und Person, Tübingen 1964, S. 671.
22 … eine gezielte Herabsetzung: im Gegensatz zum „Uradel“ oder auch „Schwertadel“ war der sog. „Briefadel“ – nur! – ein gekaufter Adelstitel, der durch eine Urkunde – den „Brief“ – bescheinigt wurde.
23 Er hatte gerade den Ruf nach Heidelberg erhalten (Januar 1897).- Später dann hat Max Weber mehrfach – erfolglos – für politische Ämter kandidiert.
24 S.M. war die offizielle Abkürzung von „Seine Majestät“.
25 Der Münchner Theologe F.-W. Graf urteilt: „Max Weber wird gern als Meisterdenker des okzidentalen Rationalismus gefeiert. Mit seinen großen Studien zur „Wirtschaftsethik der Weltreligionen“ und den Aufsätzen über die inneren Zusammenhänge zwischen dem „Geist des Kapitalismus“ und der innerweltlichen Askese frommer Puritaner hat der Heidelberger Gelehrte die Eigenart moderner westlicher Zweckrationalität zu erfassen versucht. Die Prägnanz seiner Begriffsbildung und die strenge, nüchterne Sachlichkeit seiner kulturwissenschaftlichen Analysen stehen aber in starkem Kontrast zu Webers äußerst widersprüchlicher, vielspältiger Persönlichkeit. Der lange harte Jahre unter manisch-depressiver Erschöpfung leidende Intellektuelle führte sein Leben in dauerndem Kampf gegen Kranksein und Gefährdung. Auch wenn er sich immer wieder in die Schreibtischarbeit stürzte, suchte er verzweifelt nach Lebensglück und Sinnerfüllung.“ (Quelle: F.-W. Graf, Max Webers geheime sexuelle Gelüste, in: WELT v. 14.09.2012: URL: https://www.welt.de/ kultur/literarischewelt/article109210623/Max-Webers-geheime-sexuelle-Gelueste.html; Zugriff am 26.04.2014.).
26 „ ‚Ihr solltet ihn in Uniform sehen! […] Man möchte ihn nie wieder anders sehen. Die Leute auf der Straße drehen sich alle um.‘ Mina Tobler, die 34-jährige Schweizer Pianistin, schwärmte im September 1914 ihrer Mutter von ihrem Geliebten vor. Max Weber, der große Heidelberger Gelehrte, diente da seit Kurzem als Lazarettoffizier. Auch seine Ehefrau Marianne war angetan: Webers nächtliche Fressattacken hörten auf, er wurde schlanker. Und als Offizier bekam er endlich wieder ein reguläres Gehalt: 7600 Mark im Jahr …“ Quelle: http://www.zeit.de/2014/08/max-weber-erster-weltkrieg; Zugriff am 26.04.2014.- Es sei hier ausdrücklich vermerkt, daß Weber sich in diesem Amt, zu dem er sich freiwillig gemeldet hatte, zum Wohle der Verwundeten überaus engagierte!
27 Vgl. hierzu die Schlusspassagen von Webers «Protestantischer Ethik» (1904)!
28 Vgl. dazu: http://www.zeit.de/2013/24/genderforschung-kulturelle-unterschiede; Zugriff am 01.05.2014.
29 Vgl. hierzu: Die große Neuro-Show. DIE ZEIT Nr. 9 v. 20.02.2014, S. 38.
30 Da sind wir ja nun sicherlich keineswegs alle meiner Meinung; und ich will hier auch gar nicht verhehlen, daß es auch Leute gab, die Webers Methodologie als „verworren“ bezeichnet haben … So ist insbesondere von Seiten der Kritischen Theorie gefragt worden, ob die hier postulierte Objektivität denn überhaupt möglich sei!